Waffen gestalten nicht, sie schaffen Fakten, Tote, Verletzte und perpetuiertes Leid

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Kann es nur exakt zwei Haltungen zu Afrin geben, die eine türkisch, die andere kurdisch, und jeder hat sich auf eine Seite zu schlagen? Der gesunde Menschenverstand würde wohl in jedem anderen Fall sagen: Quatsch, es gibt kein schwarz und weiß. Hier scheint das unmöglich zu sein. Gerade in der türkischstämmigen Community scheinen wir mittlerweile epistemisch in dermaßen unterschiedlichen Welten zu leben, dass die Grundlage für ein Verstehen immer mehr abhanden kommt. Ich gehöre zu denen, die kein Verständnis für die Militäroffensive zeigen, habe dabei aber einen türkischen Hintergrund, komme selbst aus einem konservativ-religiösen Milieu (ohne mich selbst als konservativ zu verstehen) und sehe die PKK (PYD usw) als menschenverachtende Terrororganisation an, mit der ich schon ideologisch nichts anfangen kann, aber noch weniger mit ihrer Grausamkeit und Gewalt. Dennoch wird meine Position aus Teilen der eigenen Community als “Terrorversteher” wahrgenommen. Wie sie von der anderen Seite wahrgenommen wird, weiß ich gar nicht, weil ich dorthin überhaupt keinen Bezug habe.

Dass ich kein Verständnis für eine militärische Aktion zeige, macht mich aber nicht zu einem Terrorversteher, sondern liegt in der gleichen Ursache, warum ich Terrorgruppen wie PKK und PYD gerne zum Teufel jagen würde: im Einsatz von Waffengewalt. Nicht ihre Ideologie oder ihre Seperationsbemühungen sind es (mit denen ich nebenbei auch nichts anfangen kann), sondern ihr Griff zu den Waffen, ihr Vertrauen auf Gewalt und Grausamkeit.

Es ist der gleiche Mechanismus, der den arabischen Frühling zum arabischen Winter werden ließ, sobald die erste Kugel von Seiten der Protestierenden abgefeuert worden ist. Da bin ich, wenn wir im syrischen Kontext bleiben wollen, beim syrischen Gelehrten Cevdet Said und seinem Rat: Sei wie Adams Sohn Habil (Abel).

Es ist der gleiche Mechanismus, der mich gegen die US-Invasion im Irak oder in Afghanistan wenden ließ. Oder haben wir uns als muslimische und auch türkischstämmige Community gegen diese Invasionen gewandt, weil die Al-Quaida unser Lieblingsorganisation, Saddam unser Lieblingsdiktator gewesen ist. Wir haben uns gegen den Schmerz, gegen das Leid, gegen das Weinen der Kinder, egal wessen Kinder sie sein mögen, gewandt. Haben wir über die Belagerung in Aleppo nur getrauert, weil dort auch Ikhwanis gewesen sind?

Wir haben uns gegen die Austragung von Machtpolitik mit Waffengewalt gewandt und dabei hat es uns nicht geschert, dass die USA ein Staat und die Al-Quaida eine Terrororganisation ist. Es war das unvermeidliche Leid der Unschuldigen, der Unbeteiligten, die Erniedrigung des Menschen auf das Dasein als ein Kollateralschaden, als eine Zahl in einer Statistik, gegen die wir uns gestellt haben.

Wenn wir uns die Bilder anschauen, können wir nicht unterscheiden, ob es sich bei den Trümmern um afghanische Kleinstädte, um den Irak während der Invasion, um die Belagerung von Aleppo, um Bilder aus Gaza, Cizre oder aus Afrin handelt. Die Zerstörung, die Auswirkung auf die Zivilbevölkerung, auf Unbeteiligte ist überall gleich.

Also warum soll ich mich diesmal anders verhalten, anders positionieren? Weil ich Türke oder türkischstämmig bin? Ist das Grund genug, um meiner Meinung nach grundsätzliche Prinzipien über Bord zu werfen? Wie ehrlich war dann eigentlich mein früherer Protest, meine frühere Kritik? Hätte ich dann dem US-Patrioten nicht auch Recht geben müssen, hätte dann meine ungeteilte Solidarität nicht einem George Bush gelten müssen?

Gerade aus der türkischen Erfahrung wissen wir doch, dass militärische Einsätze keine Lösungen schaffen. Waffen schaffen keine Lösungen, Waffen schaffen neue Probleme. Dass eine menschenverachtende, nihilistische Terrororganisation das nicht einsehen will, mag sein, aber darf sich ein Staat, dessen Vertreter sich zumal damit rühmen, islamischen Prinzipien treu zu sein, auf dieses Niveau herab begeben? Nein, darf er nicht, und ich muss das weder verteidigen, noch mittragen. Ist diese Haltung naiv? Naiv ist es, an die Gestaltungsmöglichkeit von Waffen zu glauben. Waffen gestalten nicht, sie schaffen Fakten, Tote, Verletzte und perpetuiertes Leid.

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