Nach dem Anschlag von Solingen - Gewalt und Rassismus

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Nach dem Anschlag von Solingen - Gewalt und Rassismus

Am Freitagabend, dem 23. August 2024, griff ein mutmaßlicher Attentäter während des Stadtfestes "Festival der Vielfalt" in Solingen Besucher mit einem Messer an. Drei Menschen - zwei Männer im Alter von 56 und 67 Jahren sowie eine 56-jährige Frau - wurden getötet, acht weitere zum Teil lebensgefährlich verletzt.

Der Täter soll gezielt auf die Hälse seiner Opfer eingestochen haben, bevor er vom Tatort flüchten konnte. Die Ermittler gingen von einem möglichen terroristischen Motiv aus, da die Tat sehr zielgerichtet erschien.1

Am nächsten Tag stellte sich der Tatverdächtige selbst der Polizei. Es handelte sich um einen 26-jährigen Syrer, der Ende 2022 über Bulgarien nach Deutschland eingereist war und einen Asylantrag gestellt hatte. Obwohl er 2023 eigentlich nach Bulgarien abgeschoben werden sollte, war er untergetaucht und wurde stattdessen nach Solingen überstellt. Den Sicherheitsbehörden war er zuvor nicht als islamistischer Extremist bekannt.

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich und erklärte, der Täter sei ein "Soldat des IS" gewesen, der "Rache für Muslime in Palästina und anderswo" geübt habe. Daraufhin übernahm der Generalbundesanwalt die Ermittlungen wegen des Verdachts einer terroristischen Straftat.2

In Erklärung von muslimischer Verbandsseite wird neben einer klaren und eindeutigen Verurteilung der Tat immer wieder auch ein Erwartung formuliert: Die Tat dürfe nicht zu mehr Rassismus in der Gesellschaft führen, es müsse verhindert werden. Es gibt Aufrufe an den Rechtsstaat zur Aufklärung, an die Gesellschaft sich von der Tat nicht spalten zu lassen und ein immer wieder formulierte "Der Angriff galt uns allen"-Aussagen. Für wen man jedoch wieder keine Rolle in der Auseinandersetzung mit dem zugrundeliegenden Islamismus-Motiv des Täters finden konnte, das waren die Verbände selbst. Diese Haltung der muslimischen Verbände muss näher beleuchtet werden.

Gewaltverhinderung und Rassismusprävention: Ein komplexes Zusammenspiel

Die Verhinderung von Gewalttaten ist der effektivste Weg, um zu verhindern, dass der Rassismus in unserer Gesellschaft weiter befeuert wird. Dabei reicht es nicht aus, solche Taten nur im Nachhinein zu verurteilen. Vielmehr müssen wir uns mit den Bedingungen auseinandersetzen, die solche Gewalttaten überhaupt ermöglichen. Wie fühlen sich Gewalttäter durch ihre Religion oder den in ihrem Umfeld wahrgenommenen "Zeitgeist" legitimiert, solche Taten im Namen der Umma, der muslimischen Gemeinschaft oder im Namen Gottes durchzuführen? Diese Frage ist zentral, um zukünftige Taten zu verhindern.

Die Rassismus-Forschung zeigt, dass menschenfeindliche Einstellungen nicht im luftleeren Raum entstehen. Sie gedeihen in bestimmten Milieus, die diese Einstellungen entweder fördern oder zumindest dulden. Hier sind sowohl die Gesellschaft als auch spezifische Gemeinschaften gefragt, aktiv gegenzusteuern.

Die Rolle der muslimischen Community

Die muslimische Community muss sich dringend die Frage stellen, ob sie besonders in ihren religiösen Institutionen, den muslimischen Verbänden, einer Gewalt-Legitimierung aus einer religiösen Position heraus genügend Widerspruch formuliert haben. Es gibt viele muslimische Akteure, die seit Jahren in der Präventionsarbeit tätig sind und sich klar gegen jede Form der Gewalt-Legitimierung positionieren. Diese Arbeit ist unverzichtbar und muss weiter gestärkt werden.

Allerdings schieben viele muslimische Verbände diese Verantwortung vor sich her und sind nicht bereit, eine eigene Rolle oder Funktion über ihr "Dasein" hinaus zu akzeptieren. Sie postulieren gerne ihre bloße Existenz als "gewaltverhindernd", können aber häufig nicht überzeugend darlegen, inwiefern ihre Haltungen und Aktivitäten tatsächlich präventiv wirken. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die Debatte um den Israel-Gaza-Konflikt. Viele Verbände haben hier die diskursive Hoheit den radikalen und eindeutig antisemitischen Kräften auf der Straße überlassen und eine divergierende öffentliche und interne Kommunikation geführt. Öffentlich präsentierten sie sich als unparteiisch und menschenrechtlich orientiert, während intern oft klare pro-palästinensische und teilweise offen antisemitische Positionen vertreten wurden. Diese Doppelzüngigkeit ist nicht nur problematisch, sondern gefährlich. Denn die Diskrepanz wurde sehr wohl auch von der eigenen Anhängerschaft wahrgenommen, die sich statt an den ambivalenten Aussagen der eigenen Verbände dann doch lieber an den radikalen aber klaren Aussagen von islamistischen Gruppen wie der Hizb-ut Tahrir orientiert haben.

Ein Aufruf zur Verantwortung

Genauso wie Rassismus ein entsprechendes Milieu braucht, um besonders gut gedeihen zu können, lebt auch die vermeintlich religiös begründete Gewalt in einem Umfeld, das solche Legitimationen duldet oder ermöglicht. Um diese Gewalt effektiv zu verhindern, muss aber genau dort angesetzt werden. Jede Gemeinschaft, jede Organisation, die eine Rolle in der Gesellschaft spielt, hat die Verantwortung, menschenfeindliche Tendenzen zu erkennen und aktiv zu bekämpfen.

Es reicht nicht aus, sich nur auf die Sicherheitsbehörden zu verlassen. Der Kampf gegen Gewalt und Rassismus beginnt in den Köpfen und Herzen der Menschen und wird durch das Umfeld mitgeprägt, in dem sie leben. Die ohnmächtige Sprachlosigkeit der Verbände befördert die Dominanz der radikalen Kräfte in dem Diskurs und radikalisiert zusehends die Mitte der muslimischen Community. Der mögliche Einfluss, den die Verbände hier entfalten können, wird jedoch von ihnen selbst ignoriert und nicht bedient. Hier braucht es eine tiefgreifende Haltungsänderung - möglichst schon vorgestern.


  1. https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/anschlag-in-solingen-was-wir-bisher-wissen-und-was-nicht, abgerufen am 26.08.2024. (Archivlink: https://archive.ph/k4CNi).

  2. https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/messerattacke-solingen-haftbefehl-terror-is-bundesanwaltschaft-100.html, abgerufen am 26.08.2024. (Archivlink: https://archive.ph/nJDui).

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