Die Diskussion um die Gründung und Etablierung von islamisch-theologischen Fakultäten ist mit dem schwelenden Streit um die Beiratsbesetzung in Tübingen und jetzt auch in Münster wieder stärker in den Vordergrund getreten. Das Bundesforschungsministerium hat im November 2012 der Universität Münster mitgeteilt, dass es Einwände gegen einen Vertreter im Beirat des islamisch-theologischen Zentrums gibt – zusammen mit dem obligatorischen Hinweis, dass von der Berücksichtigung dieses Einwandes die finanzielle Förderung des Zentrums abhängig gemacht wird. Dabei zielte der Einwand weniger auf den genannten Namen, als auf die Gemeinschaft dahinter.
Verfassungsrechtlich überrascht die Nachricht aus Münster. Spätestens mit dem Grundgesetz gehört es nämlich nicht mehr zu den Aufgaben des Staates, über inhaltliche Fragen der theologischen Lehrstühle und Fakultäten zu bestimmen. Dem religionsanschaulich neutralen und damit säkularem Staat ist es zudem verwehrt, in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften einzugreifen. Die Frage, mit wem ein Amt besetzt wird oder durch wen sich eine Religionsgemeinschaft vertreten lassen will, steht im Zentrum dieses Selbstbestimmungsrechts.
Diese Einmischung in Religionsfragen ist kein Novum, wenn es denn um den Islam und die muslimischen Religionsgemeinschaften geht. Eines der ersten Versuche der Etablierung eines islamisch-theologischen Lehrstuhls scheiterte unter anderem an dieser inhaltlichen Einmischung.
2004 wurde ein Theologe ohne ernsthafte Mitwirkungsmöglichkeiten der muslimischen Gemeinschaften auf den Lehrstuhl „Religion des Islam“ am Centrum für Religiöse Studien der Universität Münster berufen. Begleitet werden sollte der Lehrstuhl von einem Beirat, dessen Funktion jedoch eher im Symbolischen bestand. Das Resultat des ersten Abenteuers islamischer Theologie in Münster ist bekannt: Die muslimischen Gemeinschaften mussten im September 2008 aufgrund der mittlerweile beim Lehrstuhlinhaber eingetretenen Sinnes- und Bekenntniswandels erklären, dass sie ein Studium der islamischen Theologie in Münster nicht empfehlen.
Vor dem Hintergrund dieses bereits beschädigten Rufes des Standortes Münster verwundert die massive Einmischung des damals noch unter Frau Schavan stehenden Ministeriums in die Mitwirkung der muslimischen Gemeinschaften.
Rechtliche Voraussetzungen der islamisch-theologischen Lehrstühle
Die Einrichtung von theologischen Lehrstühlen und Fakultäten stellen in einem religiös neutralen und säkularen Staat wie Deutschland keine Selbstverständlichkeit dar. Der Staat kann nämlich grundsätzlich nicht vorgeben, welchen Inhalt Religion haben soll und welchen nicht. Um diese Bestimmung geht es aber in der Theologie, die aus der Innenperspektive heraus die Inhalte der eigenen Theologie mitbestimmt, beschreibt und diskutiert.
Es gibt ein grundsätzliches staatliches Interesse, den einzelnen Theologien einen Platz an öffentlichen Universitäten zu geben. Zum einen müssen dort die Religionslehrer ausgebildet werden, die ihren Einsatz im bekenntnisgebundenen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen haben sollen. Zum anderen erhofft man sich einen „zähmenden“ Einfluss auf die Religionsgemeinschaften selbst. Diese müssen nämlich durch die Verortung ihrer Theologien an den Universitäten ihre Inhalte viel stärker dem öffentlichen Diskurs öffnen, als es beim Betreiben von Theologien an nur eigenen Institutionen der Fall wäre.
Verfassungsrechtlich ist jedoch klar, dass die Entscheidungen zu den inhaltlichen Fragen der Theologien grundsätzlich nur den Religionsgemeinschaften zustehen. Diese gewährleisten durch ihre Mitwirkung, dass das jeweilige Bekenntnis zur Geltung kommt, sind Garant für die Authenzität der Theologie und gewährleisten die Rückkopplung mit der muslimischen Basis in den Moscheegemeinden. Bei den christlichen Kirchen wird dies durch eine direkte Beteiligung der Bistümer und Gliedkirchen gewährleistet. Diese achten darauf, dass ihr jeweiliges Bekenntnis sowohl bei der Auswahl der Lehrstuhlinhaber und des weiteren Lehrpersonals, als auch bei den Lehrinhalten berücksichtigt wird.
Sonderweg Islamische Theologie
Bei der islamischen Theologie sträubt sich jedoch die Politik parteiübergreifend, diesen bewährten und verfassungsrechtlich gebotenen Weg fortzuführen. Zum einen fehlt es an dem politischen Willen, die faktische Realität der muslimischen Religionsgemeinschaften in Deutschland anzuerkennen. Stattdessen werden mit Hinweisen auf vermeintliche Struktur- und Vertretungsprobleme muslimischen Religionsgemeinschaften weitreichende institutionelle Freiheitsrechte vorenthalten.
Zum anderen werden in manchen politischen Kreisen die Rufe nach einem amorphen „deutschen Islam“ gelehrt von „deutschen Imamen“ laut, die sich jedoch eher an sicherheitspolitischen Erwägungen orientieren, als an den Bedürfnissen der Muslime und der muslimischen Gemeinschaften. Mit der Etablierung von islamkundlichen Fächern und dem Ziel der Einführung von islamischem Religionsunterricht steht die Politik aber auch vor der Herausforderung, ohne theologische Fakultäten nicht genügend und nicht ausreichend ausgebildete Lehrer zur Verfügung stellen zu können.
Der Wissenschaftsrat hat im Jahre 2010 ein „neues“ Modell vorgelegt, das sowohl den Bedarf an universitär ausgebildeten Religionslehrern als auch die politischen Sensibilitäten hinsichtlich der Nicht-Annerkennung der institutionellen Realität innerhalb des Islams in Deutschlands berücksichtigt. Eine Mitwirkung der muslimischen Religionsgemeinschaften ist darin zwar vorgesehen, jedoch nur in einer abgestuften Version. Nicht die Religionsgemeinschaften alleine, sondern nur zusammen mit staatlich ernannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, denen es an jeglicher Legitimation von der muslimischen Basis fehlt, sollen an den Lehrstühlen mitwirken.
Bereits dieses Modell des Wissenschaftsrates stellt einen massiven Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften dar. In der Umsetzung dieses Modells an den Standorten Münster und Tübingen wird jedoch nicht einmal diese abgestufte Mitwirkung gewährleistet. Es ist gerade der Bund, der mit dem Bundesforschungsministerium und indirekt dem Bundesinnenministerium über das Mittel dringend benötigter Fördermittel den Druck aufbaut. Dabei hat der Bund in Universitätsfragen kompetenzmäßig keine Mitwirkungsmöglichkeit. Die erkauft er sich jedoch in dieser Länderfrage über seine politisch motivierten ungeschriebenen Förderkriterien.
Mitwirkung an den einzelnen Standorten
Werden die einzelnen vorhandenen Standorte zur islamischen Theologie unter dem Aspekt der verfassungsrechtlich gebotenen Mitwirkung der muslimischen Religionsgemeinschaften betrachtet, so präsentiert sich ein sehr unterschiedliches Bild.
Derzeit ist es einzig und allein der Standort Osnabrück, der für eine verfassungsrechtlich saubere Gestaltung der Mitwirkung der muslimischen Religionsgemeinschaften gesorgt hat. Dem dortigen Beirat gehören nur Vertreter der muslimischen Gemeinschaften an, die genauso in die Gestaltung der islamisch-theologischen Lehrstühle einbezogen werden, wie es bei den Kirchen und ihren entsprechenden theologischen Fakultäten üblich ist.
Einen Sonderweg geht derzeit noch der Standort Frankfurt. Für die ursprünglich als Stiftungsprofessoren von der türkischen Diyanet gestifteten Lehrstühle besteht zwar noch kein Beirat, die Einrichtung pflegt jedoch einen intensiven Dialog zu den muslimischen Gemeinschaften. Dennoch muss auch der Frankfurter Standort auf die Etablierung einer institutionellen Einbindung der muslimischen Gemeinschaften hinarbeiten, wenn denn das bisher gute Verhältnis zwischen dem islamisch-theologischen Institut und den muslimischen Religionsgemeinschaften auch zuverlässig in die Zukunft getragen werden soll.
Der Zusammenarbeit mit den muslimischen Gemeinschaften verweigert sich der Erlanger Standort bisher vollständig. Das Zentrum rühmt sich sogar öffentlich damit, die muslimischen Religionsgemeinschaften nicht zu berücksichtigen. Nicht nur dieser Haltung dürfte der Umstand geschuldet sein, dass Erlangen sich in diesem Semester nach Presseberichten nur mit drei Studenten begnügen muss, die dort „islamische Theologie“ studieren wollen. Auf dieser Basis dürfte mit Erlangen derzeit auch von Seiten der Religionsgemeinschaften wenig Interesse zu einer Zusammenarbeit bestehen.
Die „islamisch-theologischen“ Lehrstühle in Tübingen und Münster sind im Gegensatz zu den anderen Standorten nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrates errichtet oder wiedererrichtet worden. Sie folgen nach eigenem Anspruch dem Modellvorschlag des Wissenschaftsrates, der die Mitwirkung einem Beirat überträgt, der nur zur Hälfte aus Vertretern der Religionsgemeinschaften besteht. Über diese Religionsgemeinschaftsvertreter sollen auch die anderen Vertreter legitimiert werden, die ohne eigene Legitimation staatlicherseits ernannt werden und bei der Gestaltung der islamischen Theologie an dem jeweiligen Standort mitbestimmen sollen.
Bemerkenswert ist, dass an beiden Standorten nicht einmal diese beschnittene Mitwirkung derzeit gewährleistet werden kann. An beiden Standorten wies das Bundesforschungsministerium darauf hin, dass bei der Mitwirkung des Vertreters einer bestimmten muslimischen Gemeinschaft die bereits in Aussicht gestellten Fördergelder nicht an die Universität überwiesen werden können. Auf Rückfragen verwies das Ministerium wiederum auf Hinweise aus dem Bundesinnenministerium, dessen integrations- und religionspolitisches Feingefühl die Öffentlichkeit zuletzt im Rahmen der vielkritisierten „Vermisst“-Kampagne bewundern durfte.
Faktisch sind nun an beiden Standorten die eingerichteten Beiräte bekenntnismäßig unterbesetzt. Einer Überzahl von „Vertretern“ des öffentlichen Lebens steht eine Minderheit von Vertretern von muslimischen Gemeinschaften gegenüber. Ob dadurch die verfassungsrechtlich gebotene Geltendmachung des Bekenntnisses gewährleistet werden kann, ist fraglich. Zudem hängt beiden Standorten damit von Anbeginn der unrühmliche Ruf an, die notwendige Mitwirkung der muslimischen Religionsgemeinschaften notfalls den Fördergeldern und damit der direkten Beeinflussung ihrer theologischen Ausbildung durch ein politische Interessenträgern geopfert zu haben.
Mit diesem Vorgehen schaden diese Standorte nicht nur ihrem eigenen Ruf, sondern auch den Berufsaussichten ihrer Studenten. Zum einen geben sie Raum für die Frage, wie bei einer solch massiven Einwirkung von staatlicher Seite auf inhaltliche Fragen der Religion, die Authenzität und staatliche Unabhängigkeit ihrer eigenen Forschung und Lehre gewährleistet werden kann. Zum anderen lassen sie zu, dass gerade die Gemeinschaften, die mittel- und langfristig ihre Absolventen als religiöses Personal in der einen oder anderen Form einstellen sollen, von der Mitwirkung ausgeschlossen werden. So kann jedoch kein Vertrauen in den Standort und die Ausbildung dort aufgebaut werden.