Nach Konflikten um die “Charta der republikanischen Werte” und Spionagevorwürfen im CFCM sucht das französische Innenministerium den direkten Dialog mit der muslimischen Basis und den Moscheegemeinden.
Der Schritt kam nicht unerwartet und zeichnete sich schon länger ab. Das französische Innenministerium, verantwortlich für den Dialog mit den Religionsgemeinschaften im Land, umgeht die nationalen Verbandsspitzen der muslimischen Verbandslandschaft und sucht den direkten Kontakt zur muslimischen Basis und den Moscheegemeinden. In einem Brief vom 26. November 2021 dankt Innenminister Darmanin den muslimischen Teilnehmern der dritten Regionalkonferenz (Assises territoriales de l'islam de France - ATIF) im Frühjahr 2021 und kündigt neue Schritte in der Zusammenarbeit mit der muslimischen Community an.
Darminin bekennt sich in dem Schreiben zur religiösen Vielfalt im Land, die durch das Prinzip des Laizismus ermöglicht werde. Der muslimische Glaube wird als wesentlicher Bestandteil der Nation beschrieben. In wenigen Jahren seien lokale muslimische Strukturen entstanden, die es den einzelnen Gläubigen erlauben würden, ihren Glauben in völliger Freiheit auszuleben. Der Glaube inspiriere “unsere Mitbürger” zur wohltätigen und philanthropischen Arbeit. Mit der muslimischen Militär-, Gefängnis- und Krankenhausseelsorge werde zudem täglich demonstriert, dass die Republik die freie Ausübung der Religionspraxis garantiere. Und auf diesen Reichtum könne man stolz sein.
Islam in Frankreich ohne CFCM?
Wer bis hierhin und auch im weiteren Verlauf des Schreibens nicht auftaucht: Der CFCM, also der „Kultusrat der französischen Muslime“ und damit die öffentliche Vertretung der muslimischen Gemeinschaften in Frankreich, in dem alle namhaften Verbände der muslimischen Verbandslandschaft in Frankreich vertreten sind.
Der CFCM ist im letzten Jahr immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Ende 2020 führte die Diskussion um eine “Charta der republikanischen Werte” und der Einführung eines “Nationalen Imamrats” zu einem ersten Bruch mitten durch den CFCM. Auf Vorschlag des französischen Präsidenten Macron sollte mit der “Charta der republikanischen Werte” eine Selbstverpflichtung der Verbände auf die französischen Werte eingeführt werden. Mit dem “Nationalen Imamrat” sollte die Beschäftigung von Imamen standardisiert und der Einsatz von “Import”-Imamen reguliert werden. Während direkt nach dem Gespräch mit dem Präsidenten die Vorschläge einheitlich begrüßt wurden, zerbrach die Einheit im CFCM mit der Weigerung des französischen Ditib-Pendants (Comité de Coordination des Musulmans Turcs de France – CCMTF) und den in der CIMG zusammengeschlossenen IGMG-Regionalverbänden (Confédération Islamique Milli Gorus France - CIMG), die Charta zu unterschreiben.
Ende März wiederum haben vier der großen Mitglieder des CFCM über einen Streit um die Besetzung von Militär- und Gefängnisseelsorgern die Gründung eines eigenen Koordinierungsgremiums angekündigt. Mittlerweile wurde von diesen vier Föderationen ein eigener, alternativer „Conseil national des imams“ (CNI), ein „Nationaler Imamrat“ eingerichtet. Der Präsident des CFCM, Moussaoui, drohte bereits mit rechtlichen Mitteln gegen die Einrichtung des alternativen Imamrats. Der CFCM lud zunächst zum 12. Dezember die eigenen Regionalstrukturen zur Gründung des eigenen "Nationalen Imamrates" ein, der nunmehr seit einem Jahr auf sich warten lässt. Mittlerweile ist der Termin mit Verweis auf die Pandemie-Situation auf den 9. Januar 2022 verschoben worden.
Eine neue Eskalationsstufe war schließlich Anfang Dezember erreicht, nachdem das französische Wochenmagazin “Le Point” von marokkanischen Geheimagenten in der CFCM berichtet hat. Ein enger Mitarbeiter des CFCM-Vorsitzenden Mohammed Moussaoui soll demnach als marokkanischer Geheimagent dafür verantwortlich gewesen sein, Marokkos Einfluss auf den Islam in Frankreich zu festigen. So solle unter anderem auch die Miete Moussaouis von der marokkanischen Botschaft bezahlt worden sein, nach Aussage von Moussaoui im Austausch für seine freiwillige Führung der französischen und marokkanischen Imame und als Hilfe für französische Moscheen.
Direkte Ansprache lokaler Strukturen
Der französiche Innenminister scheint die Hoffnung in die CFCM verloren zu haben, die 2003 noch von Sarkozy initiiert worden war. Stattdessen werden die Bemühungen verstärkt, Moscheegemeinden direkt über die Präfekten anzusprechen. Im Rahmen von 260 ATIF-Treffen sollen zuletzt mehr als 2500 Frauen und Männer zusammengekommen sein, bestehend aus “religiösen Führungskräften, Vereinsvorständen, Seelsorgern und zivilgesellschaftliche Akteuren”.
Mit diesen wurden neben lokalen Bedürfnissen wie die Organisation von religiösen Festen auch Themen wie die Anwerbung und Ausbildung von Imamen oder die Finanzierung des religiösen Lebens besprochen. Nach Aussage des Innenministers soll dabei von Seiten der Teilnehmer der Wunsch ausgesprochen worden sein, diese Form des Dialogs zwischen muslimischen Akteuren und staatlichen Vertretern weiter fortzuführen.
Innenminister Darmanin schlägt in seinem Schreiben nun vor, die regionalen Treffen von muslimischen Akteuren und den Präfekten als jährliche Treffen “mit konstruktiven und unabhängigen muslimischen Gläubigen” zu verfestigen.
Es soll den lokalen Aktionen auch ein nationales Gegenstück folgen. Für Januar 2022 kündigt der Innenminister die Einrichtung eines “Forum de l'lslam de France” (FORIF), eines Forum des Islams in Frankreich an. In dem Forum, das vom Innenministerium verantwortet werden soll, sollen neben anderen Ressorts auch Mitglieder aus dem Teilnehmerkreis der ATIF berufen werden, die mit “thematischer Kompetenz ihre Regionen vertreten” sollen. Das Forum soll dabei die Vorschläge und Empfehlungen aus den Regionaltreffen im Rahmen der ATIF aufgreifen und nach nationalen Lösungsmöglichkeiten suchen. Unter anderem soll damit das Thema der Ausbildung von religiösen Führungskräften vorangetrieben werden, da Frankreich ab 2024 keine entsandten ausländischen Imame mehr aufnehmen will.
Mit dem FORIF in Paris und den ATIF in den Regionen erhofft sich Darmanin langfristig, einfache Verfahren zu etablieren, mit denen die Akteure “guten Willens” zum Nutzen der “Gläubigen des muslimischen Glaubens in unserem Land” zusammenkommen können. Ob damit auch die Leitungen der muslimischen Verbände gemeint sind, darf bezweifelt werden.