Es gibt “keinen sicheren Maßstab, loyale Moslims von fanatischen zu unterscheiden und kein sicheres Mittel, die ersteren loyal zu halten”. Hätte Carl Axenfeld diese Aussage nicht schon 1910 zum Kolonialkongress in Berlin geäußert, sie könnte im Vorfeld der Islamgesetz-Novelle in Österreich gefallen sein. Denn ohne dieses Misstrauensmoment sind die Entwicklungen in dem Land mit der am längsten bestehenden, gesetzlich anerkannten muslimischen Gemeinschaft in Europa nicht nachvollziehbar.
In Deutschland werden Probleme mit der rechtlichen Integration der islamischen Gemeinschaften oft mit der fehlenden Anerkennung von muslimischen Strukturen – ob nun als Körperschaft oder in anderer Form – erklärt. Die Diskussion um die Reform des österreichischen Islamgesetzes zeigt jedoch, dass die Struktur- und Anerkennungsfrage kein Allheilmittel ist.
Über die Notwendigkeit der Reform des Islamgesetzes von 1912 waren sich in Österreich alle Seiten einig. Das Reformvorhaben reihte sich ein in eine generelle Aktualisierung der österreichischen Religionsgesetze. In den 60er Jahren waren bereits die Rechtsverhältnisse der evangelischen und der griechisch-orientalischen Kirchen reformiert worden, im Jahr 2012 die der russisch-orthodoxen Kirche und der israelitischen Religionsgesellschaft. Das Islamgesetz von 1912 war das älteste und das einzige noch weitgehend in seiner ursprünglichen Form bestehende Religionsgesetz.
Die Reform des Islamgesetzes nahm jedoch einen ganz eigenen, besonderen Weg. Sie wurde 2012 vom damaligen Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz angestoßen, um dann 2015 vom gegenwärtigen Außenminister Sebastian Kurz abgeschlossen zu werden. Zur Vorbereitung der Gesetzesänderung hatte Kurz in 2012 ein “Dialogforum Islam” ins Leben gerufen. Eine ernsthafte Einbeziehung der gesetzlich anerkannten Vertretung der Muslime in Österreich, der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) fand dabei nicht statt, wurde von dieser aber auch nicht eingefordert.
Das Dialogforum nahm sich unausgesprochen die Deutsche Islam Konferenz in seiner ersten Version zum Vorbild. Inhaltliche Ausrichtung, Themenschwerpunkte und sogar so manch ein Teilnehmer waren identisch. Im Unterschied zu Österreich gab es jedoch bei der Konzeption der DIK in Deutschland keine gesetztlich anerkannte Religionsgemeinschaft, mit der die institutionalisierte Zusammenarbeit seit Jahrzehnten hätte eingeübt werden können. Für den Soziologen Levent Tezcan ging es bei der DIK damals “um die <<Zurechtweisung>> dieses in der gemeinsamen Adressierung zum Kollektiv erklärten muslimischen Subjekts, das in einem die Gefahrenquelle und den Ansatzpunkt gegen dieselbe Gefahr” ergab (Levent Tezcan, Das muslimische Subjekt, 2012, Konstanz, S. 18).
Die DIK in Deutschland hat sich längst weiterentwickelt, doch in Österreich wurde der Fokus auf den Gefährdungsverdacht in das neue Islamgesetz festgeschrieben. Die Versagung und Aufhebung der Rechtspersönlichkeit der IGGiÖ nimmt darin eine gewichtige Stelle ein. Die Interessen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit und Moral, die Gefährdungen des Kindeswohls oder die “Anwendung psychotherapeutischer Methoden, insbesondere zum Zwecke der Glaubensvermittlung”, an möglichen Gründen zur Auflösung der bestehenden Religionsgesellschaft fehlt es in dem Gesetz nicht. Regelungen ähnlichen Gehalts gibt es in den anderen Religionsgesetzen keine.
So wird den Muslimen in Österreich die größte Sorge wohl nicht einmal das Unikat des Verbots der Auslandsfinanzierung bereiten, das es in dieser Form nur für die Islamische Glaubensgemeinschaft gibt. Problematischer sind die im österreichischen Religionsrecht einzigartigen staatlichen Eingriffsmöglichkeiten, mit der die Gemeinschaft immer wieder zum Spielball politischer Interessen werden kann. In der österreichischen Politik zumindest scheint das Axenfeldsche Misstrauensaxiom auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Den Muslimen, die man hat, vertraut man nicht und denen, die man haben möchte, vertraut man wohl noch weniger.