Haben Sie schon von dem Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gehört? Überhaupt schon einmal etwas von dieser Behörde gehört? Nein, dann dürfte es Ihnen wie der Mehrheit der deutschen Bevölkerung gehen.
Sowohl Antidiskriminierungsarbeit, als auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) sind für die meisten Deutschen nichtssagende Begriffe. Diese Feststellung gehört mit zu den Ergebnissen eines Forschungsprojekts „Diskriminierung im Alltag“, das die ADS in Auftrag gegeben hat. Danach haben nur 23 % der Befragten schon einmal etwas von der ADS gehört, nur 34 % können sich unter dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) etwas vorstellen. Dabei ist das AGG mittlerweile der zentralen Pfeiler in der Antidiskriminierungsarbeit.
Dieses Desinteresse in der Bevölkerung gilt jedoch nicht nur der ADS. Die Themen Diskriminierung und Gleichbehandlung interessieren die Mehrheit der Bevölkerung nicht wirklich. Nur 15 Prozent der Befragten können die Aussage „Antidiskriminierungspolitik halte ich für überflüssig“ entschieden ablehnen (Diskriminierung im Alltag – Wahrnehmung von Diskriminierung und Antidiskriminierungspolitik in unserer Gesellschaft; Sinus Sociovision für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes; Heidelberg, Juli 2008; Seite 9.) . Für die meisten fehlt es einfach an der persönlichen Betroffenheit. Die Folge: Wenn überhaupt, dann nur klischeehafte Bekenntnisse zum Diskriminierungsschutz.
Besonders in den traditionellen Milieus und in der modernen Unterschicht stößt das Thema Diskriminierungsschutz eher auf Ablehnung. Vielmehr erscheinen diesen die „klassischen ‚Randgruppen“ (aaO., S. 10.) als unliebsame Konkurrenz im gesellschaftlichen Verteilungskampf. Für Vertreter dieser Gruppen sind es vielmehr sie selbst, die aufgrund ihrer sozialen Benachteiligung diskriminiert werden. Den klassischen „Randgruppen“ wird eher eine Bevorteilung durch den Staat vorgeworfen.
Fehlende Diskriminierungswahrnehmung
Die Gründe für diese fehlende Diskriminierungswahrnehmung sind vielschichtig. Einige arbeitet die Sinus-Studie in ihren Ergebnissen heraus. So scheint die Aufmerksamkeit für benachteiligte Gruppen in hohem Maße von der medialen Präsenz abzuhängen (aaO., S. 11.). Dabei reicht es nicht aus, dass die benachteiligten Gruppen auf irgendeine Art und Weise in den Medien Erwähnung finden – nein sie müssen auch als benachteiligt dargestellt werden.
Einen schwierigen Stand haben dabei Gruppen, die sich nicht gerade einer allgemeinen gesellschaftlichen Sympathie sicher sein können. So beschränkt sich in der breiten Bevölkerung bei dem Thema der Benachteiligung aufgrund der Religion oder Weltanschauung das Blickfeld auf den Bereich Religion, und dort auf den Islam. „Das heißt, beim Stichwort „Religion“ denkt man sofort an den „Islam“. Dieser wird spontan mit religiösem „Fundamentalismus“ in Verbindung gebracht. Und von diesem erwartet man in erster Linie Gewalt und „Terror“ – wie man es aus einschlägigen Medienberichten gelernt hat.“ (aaO., S. 14.)
Hinzu kommen grundsätzliche Vorbehalte gegenüber der öffentlich sichtbaren Religion. Öffentlich sichtbares religiöses Engagement wird abgelehnt und in die Nähe von „Fundamentalismus“ und „Fanatismus“ gerückt. Letztendlich werden die Religionen an sich als Diskriminierer aufgefasst. „Weil jede Religion oder Weltanschauung sich selbst für die allein selig machende hält, tendiert sie zwangsläufig, so die verbreitete Meinung, zur Diskriminierung Andersgläubiger.“ (aaO., S. 14.) Besonders im Fall des Islams kommt dazu noch das medial aufgeladene Bild von einer vermeintlich frauenverachtenden, machtgeprägten und menschenfeindlichen Religion hinzu.
Von einer deutlichen Mehrheit der Befragten wird insoweit kein Bedarf dafür gesehen, „aktiven Vertretern einer Religion Diskriminierungsschutz angedeihen zu lassen“. Dabei reicht schon das öffentlich sichtbare Ausleben von religiösen Geboten, um zum „Vertreter“ einer Religion zu werden. Der Befund der Studie stimmt in dieser Hinsicht nachdenklich: „Eine für eine aufgeklärte Gesellschaft angemessene Auseinandersetzung mit dem Religionsthema, d. h. anzuerkennen, dass es in Deutschland Benachteiligungen von Menschen wegen ihrer Religion gibt, und wahrzunehmen, dass den Anhängern bestimmter Religionen (Moslems, Juden, Zeugen Jehovas usw.) in unserem Land mit Misstrauen und unterschwelliger bis offener Ablehnung begegnet wird, scheint derzeit durch die (stark angewachsenen) islamfeindlichen Tendenzen sowie durch die von vielen Befragten vorgenommene Vermischung von Religion und Migration blockiert zu werden.” ((aaO., S. 14/15.))
Der Antidiskriminierungsarbeit fehlt der gesellschaftliche Rückhalt
Das Europäische Parlament hat die Antidiskriminierungsrichtlinie verschärft. Es war die erste Version dieser Richtlinie, die in Deutschland zur Einführung des „Allgemeinen Gleichbehandlungssgesetzes“ (AGG) und der Einsetzung einer „Antidiskriminierungsstelle des Bundes“ (ADS) geführt hat. Auf politischer Ebene ist somit einiges an Bewegung in die Arbeit gegen die Diskriminierung gekommen. Nur, findet diese Arbeit kaum einen Niederschlag in der Bevölkerung.
Nicht nur der Umstand, dass nur 15 Prozent der Bevölkerung „als harter Kern der Gleichbehandlungsbefürworter“ (aaO., Seite 9.) ausgemacht werden können – 40 Prozent der Bevölkerung halten Antidiskriminierungspolitik gar für völlig überflüssig.
Zweifellos macht solch eine gesellschaftliche Grundhaltung Antidiskriminierungsarbeit zu einer unangenehmen Sache für Akteure in diesem Bereich. Insbesondere zivilgesellschaftliche Organisationen haben Schwierigkeiten, sich Gehör für ihre Arbeit zu verschaffen und auch die notwendige öffentliche Aufmerksamkeit gegen Diskriminierung zu mobilisieren. Amnesty international führt es immer wieder vor. Eine wirksame Menschenrechts- und Antidiskriminierungsarbeit lebt von dem öffentlichen Interesse, von dem öffentlichen Druck auf die Diskriminierer. Das Interesse für Diskriminierungsopfer scheint aber in der Regel auf Missstände im Ausland beschränkt zu sein. Gerade die Probleme vor der eigenen Haustür stoßen auf ein weit verbreitetes Desinteresse.
Es sind hauptsächlich die jungen gebildeten, die noch ein Auge für das Problem von Benachteiligung und Diskriminierung haben und auch offen damit umgehen.
Das traditionelle Segment, bestehend aus „Konservativen“ und „Traditionsverwurzelten“, zeigt dagegen die geringste Aufgeschlossenheit für Diskriminierungsthemen. „Nicht wenige dieser Befragten sehen in unserem Land die „eigenen Bürger“ benachteiligt, d. h. all diejenigen, die nicht homosexuell sind, die keinen Migrationshintergrund haben und die nicht von Sozialtransfers leben.” (aaO., S. 11/12.)
Es sind zumeist emotional getragene Vorbehalte gegenüber Ausländern und Migranten, die diese Bevölkerungsgruppe fast schon blind werden lässt für Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen. Dies geht sogar so weit, dass „insbesondere in den traditionellen und in den unterschichtigen Milieus blanker Hass gegenüber den Menschen anderer ethnischer Herkunft oder Hautfarbe zu spüren“ ist.
Gleichbehandlung ja, aber bitte nur für mich
Dabei wird Diskriminierung an sich als ungerecht und verwerflich empfunden, „weil sie unserem kulturellen Wertesystem, dass auf Chancengleichheit, sozialer Fairness und Solidarität gründet, widerspricht“ (aaO., S. 18.). Die Sensibilisierung beschränkt sich aber nur auf Menschen und Gruppen, die bereits dem eigenen Sozialverband, der eigenen Kultur- und Lebenswelt als zugehörig angesehen werden.
Für Migranten, besonders für muslimische, hat dies im Rahmen von Antidiskriminierungsarbeit eine fatale Folge. Einerseits bestehen ihnen gegenüber aufgrund ihrer ausländischen Herkunft emotional aufgeladene Vorbehalte und Ressentiments, die sie in den Augen einer beachtlichen Zahl von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft zu Gegner in einem Wettstreit um begrenzte gesellschaftliche Ressourcen werden lässt. Andererseits werden sie aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit in Bezug auf Freiheitsrechte als „Täter“ angesehen und unter einen Generalverdacht gestellt. Die verallgemeinernde Darstellung von Muslimen in den Medien als Ehrenmörder, Frauenmisshandler, notorische Gewalttäter und die Kanalisation dieser Stereotype in der Politik in Richtung Wählerstimmen wirkt dabei verstärkend und schließt diese Gruppe aus dem Kreis der möglichen Opfer von Diskriminierungen aus.
Letztendlich muss die Frage gestellt werden, ob auf dieser Basis tatsächlich Raum für eine effektive Antidiskriminierungsarbeit gegen Diskriminierungen aufgrund der Religion bleibt? Denn die Lösung dieser Frage liegt in erster Linie nicht im Handlungsbereich der Migranten, denen offensichtlich die Kanäle fehlen, um einen Großteil der Mehrheitsgesellschaft wirklich zu erreichen. Die Lösung dieser Fragen hängt davon ab, inwieweit Akteure in der gesellschaftlichen Mitte bereit sind, auf Stereotypisierungen zu verzichten, eigene Denk- und Wahrnehmungsblockaden zu überwinden und einen anderen, offeneren Umgang mit „dem Fremden“ zu wagen. Sonst wird die Antidiskriminierungspolitik nie das Stadium der Lippenbekenntnisse überschreiten.