Krippenspiel und Weihnachtsmarkt
Auch wenn es in diesem Vortrag um den Islam gehen soll, will ich erst einmal mit etwas Nicht-Islamischem beginnen: einem Krippenspiel.
Die Luthergemeinde in Worms will in der zurückliegenden Vorweihnachtszeit ein Krippenspiel auf dem Weihnachtsmarkt aufführen. An sich nichts Besonderes. Diese Aufführung unterscheidet sich jedoch etwas von den Traditionellen. Die Luthergemeinde spielt eine fiktive, an die Darstellung aus dem Matthäus-Evangelium angelehnte Geschichte. Jesus, Maria und Josef sind auf der Flucht und stoßen an der Grenze zu Ägypten auf einen Grenzbeamten. Dieser ist nicht besonders amüsiert über die neuen Flüchtlinge. Ihren Beweggrund der religiösen Verfolgung glaubt er ihnen nicht und er hält ihnen vor, eigentlich Wirtschaftsflüchtlinge zu sein.
Zum Politikum wird das Ganze, als die Stadt die Aufführung auf dem Weihnachtsmarkt verbietet und das Verwaltungsgericht diese Entscheidung bestätigt. Aufhorchen lassen die Begründungen von Verwaltung und Justiz:
Mit diesem ungewohnten Krippenspiel “störe man die besinnliche Stimmung, die auf dem Weihnachtsmarkt herrsche und die Aktion passe nicht ins Konzept, denn sie sei nicht kindgemäß”. Außerdem brauche es auch im öffentlichen Raum Bereiche, die von gesellschaftlichen Problemen freizuhalten sind. Von Seiten des Gerichtes hieß es, die Aktion verletzte die Rechte Dritter auf einen ungestörten Besuch des Weihnachtsmarktes.
Bemerkenswert sind diese Argumente aus zweierlei Gründen. Obwohl die Botschaft des Wormser Krippenspiels eine Christliche ist, wird sie von der Verwaltung als unpassend für den öffentlichen Raum eines Weihnachtsmarktes angesehen. Sicherlich, es handelt sich nicht um den Teil der Jesusgeschichte, der „traditionell“ in solchen Vorführungen gespielt wird. Vielmehr ist es eine aufwühlende, auch die aktuelle politische Debatte um Flüchtlinge berührende Version.
Vortrag vom 21.04.2015 – Islamforum Rheinland-Pfalz, Ludwigshafen:
Zu viel Islam? [PDF]
Kulturell unpassende Religion
Das Vorgehen der Verwaltung zeigt jedoch eine Tendenz dahingehend, religiöse Praktiken in der Öffentlichkeit als unangenehm wahrzunehmen, wenn diese außerhalb des als kulturell angepasst wahrgenommenen Rahmens stehen. Solange das Krippenspiel sich auf die leicht-verdaulichen Aspekte des Besinnlichen, Rührenden und Glücklichen der Jesusgeschichte beschränkt, wird es als abendländisches Kulturgut gepflegt und geschützt. Wenn dieser Rahmen in der Öffentlichkeit verlassen und der religiös-evangelische Hintergrund wahrnehmbar wird, kann es als unangenehm und irritierend empfunden werden. Religion, selbst die christliche, scheint über den Rahmen der als „etabliert“ angesehenen Elemente hinaus in der Öffentlichkeit nicht mehr unbedingt passend zu sein.
Bemerkenswert ist dieses Vorgehen aber auch, da wir doch eher gewohnt sind, Aussagen wie “störende religiöse Praxis”, “unpassend”, “Freihalten des öffentlichen Raums vom Religiösen” im Zusammenhang mit muslimischen Gemeinschaften und dem Islam allgemein zu vernehmen. Hätte in der Wormser Nachricht nicht Krippenspiel in der Überschrift gestanden, wir hätten wohl gewohnheitsmäßig wieder an eine Koranverteil-Aktion gedacht.
Damit kommen wir auch zu der eigentlichen Frage: Geht es jedes Mal wirklich um den Islam und Muslime, wenn wir über Islam und Muslime diskutieren? Islam und Muslime tauchen im öffentlichen Diskurs um Religion dermaßen häufig auf, dass der Eindruck entsteht, es gebe besonders große Probleme im Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland. Dabei haben viele dieser Debatten konkret wenig mit dem Islam zu tun. Vielmehr geht es dabei um Fragen der Rolle von Religion in der Gesellschaft, um Fragen des Umgangs mit Differenz, um die Frage, wie wir die verfassungsrechtliche Vorgabe von gesellschaftlichem Pluralismus konkret zu verstehen haben. Aber statt diese gesamtgesellschaftlichen Fragen zu diskutieren, erscheint es einfacher, auf das als defizitär wahrgenommene des Anderen auszuweichen. Häufig landen wir dann beim Islam.
Islam als Ersatzdebatte
An der Einführung der islamischen Theologie an deutschen Universitäten will ich gerne diese These konkretisieren. Die Einführung selbst ist zu begrüßen. Eine wichtige Rolle spielte dabei der Wissenschaftsrat, der Anfang des Jahres 2010 umfangreiche Empfehlungen zur Weiterentwicklungen von Theologien an deutschen Hochschulen vorlegte. Diese Empfehlungen waren sowohl die Grundlage für die Entstehung neuer Zentren für islamische Theologien, als auch für deren Förderung durch das Bundesforschungsministerium. Wie gesagt, alles positive Aspekte.
Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates wurden in der öffentlichen Debatte außerhalb des Wissenschaftsdiskurses dermaßen mit der Frage der islamischen Theologie verknüpft, dass so mancher Islamkritiker Anstoß daran fand. Ob die Fürsorge für Muslime nicht zu weit geht, warum die Politik Muslime dermaßen hofieren müsse, was denn mit den christlichen Theologien wäre. Selbst als Beweis für die zunehmende Islamisierung Deutschlands – heutzutage wieder ein gern genutztes Schlagwort mancher Kreise – durfte die Debatte herhalten.
Was in der öffentlichen Debatte jedoch kaum auffiel: dem Wissenschaftsrat ging es in erster Linie gar nicht um die Islamische Theologie. In dem über 150 Seiten langen Papier nimmt die islamische Theologie gerade einmal knapp über zwölf Prozent ein. Das Anliegen des Wissenschaftsrates war es vielmehr, bei den christlichen Theologien für eine “Strukturveränderung im Rahmen des bestehenden Staatskirchenrechts” einzutreten. Das Augenmerk richtete sich dabei insbesondere auf die Berufungs- und Mitwirkungs-Praxis mancher Bistümer, die nicht mehr als besonders zeitgemäß angesehen wurden.
Die genannten Intentionen des Wissenschaftsrates wurden von den Kirchen zwar zur Kenntnis genommen, aber für viel Veränderung sorgten die Empfehlungen nicht. Die Einrichtung der islamisch-theologischen Zentren war am Ende der Rettungsanker für die 2
monatelang geführten Debatten. Nur dieser Aspekt blieb von dem groß angekündigten Modernisierungsschub für die universitäre Theologie übrig.
Damit wurde aber die islamische Theologie aus einem breiten Diskurs-Rahmen herausgerissen. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde sie zu etwas Besonderem, zu einem Sonderfall. Eine gesamt-gesellschaftliche Debatte wurde zu einem Problem einer Minderheit, die so schon oft genug als „Problemstifter“ wahrgenommen wird.
Externalisieren, Verlagern, Projizieren
Das Beispiel zeigt uns, wie selbst eine eigentlich sehr breit aufgestellte Debatte ungewollt in eine ganz andere Richtung abdriften kann. Immer wieder, wenn es an sich um die Fragen nach der Rolle von Religion in der Gesellschaft oder um den Umgang mit Differenz geht, wenn wir diskutieren sollten, was Pluralität tatsächlich bedeutet, landen wir bei einer Diskussion ÜBER den Islam. Ja, nicht immer, aber so scheint es mir, immer öfter.
Wir haben es dabei mit einem externalisieren, einem verlagern und projizieren wichtiger gesellschaftlicher Debatten auf eine immer noch als marginal wahrgenommene Gruppe zu tun. Ungewollt wird dabei auch der Beweis geliefert, dass das Gefühl der Fremdheit gegenüber dem Islam und den Muslimen eine Berechtigung hat. Dabei geht es um Menschen, die hier bereits seit 40 oder 50 Jahren leben oder immer öfter, hier geboren und ihre Sozialisation in Deutschland erfahren haben. Es geht um Menschen, die schon lange Teil der Gesellschaft sind, denen aber mit solchen Diskursen – gewollt oder ungewollt – signalisiert wird, nein, aufgrund deiner Religion bist Du doch irgendwie fremd.
Es gibt zweifellos Themen, die insbesondere Muslime betreffen. Es gibt auch Themen, denen sich Muslime mit all ihrer inneren Vielfalt stellen müssen. Jedoch nicht in der Vielzahl wie wir sie derzeit führen.
Gesamtgesellschaftliche Debatten sind natürlich nicht einfach. Neben Gemeinsamkeiten kommen dabei auch Bruchstellen zum Vorschein. Wo man gerne von einem Konsens ausgehen würde, eröffnen sich bei näherem Hinsehen grundlegende Differenzen; wo man meint gesellschaftliche Eintracht erzielt zu haben, treten Unterschiede zu Tage. Diese Schwierigkeiten sollten aber nicht dazu führen, dass diese Debatten als „Minderheitenprobleme“ ausgelagert werden.
So müssen wir in Deutschland noch immer mit der fehlenden Geschlechtergerechtigkeit kämpfen, dieses Problem löst sich aber nicht dadurch, dass es zu einem singulären Problem von Islam und Muslimen erklärt wird. Die kategorische Ablehnung des als Fremd wahrgenommenen überwinden wir nicht, wenn es nur noch Muslime sein sollen, die Homophobie und andere Feindlichkeiten überwinden müssen. Es sind nicht Muslime allein, die sich bewusst machen müssen, was es bedeutet, in einer pluralistischen Gesellschaft auf der Grundlage des Grundgesetzes zu leben.
Das alles sind unsere gemeinsamen Herausforderungen, denen wir uns auch nur gemeinsam stellen können.
„Islamisierung“ der Debatte
Wir sind unter dem Dach des Islamforums. Da bekommt eine solche These natürlich noch einmal eine ganz eigene Brisanz. Ich habe im Rahmen des interreligiösen Dialogs immer wieder die Erfahrung machen müssen, dass selbst sehr idealistische, engagierte Akteure am Ende frustriert werden. Aber nicht, weil sie das Interesse an dem Austausch selbst verlieren. Nein, die Debatten werden unergiebig. Für die nicht-muslimischen Akteure, weil die Antworten von muslimischer Seite nicht befriedigen. Für die muslimischen Akteure, weil sie sich immer wieder mit den gleichen Fragen konfrontiert sehen und den Eindruck bekommen, auf ein “Problem” reduziert zu werden.
Hört denn aber zum Beispiel die Debatte um das muslimische Kopftuch bei der Frage nach der Rolle eines religiösen Bekleidungsstückes oder der Geschlechterfrage im Islam auf? Oder geht es nicht noch vielmehr um die Frage, welche Sichtbarkeit wir Religion in der Öffentlichkeit zugestehen oder ob wir religiöse und weltanschauliche Vielfalt als positiv oder negativ wahrnehmen. Hören wir bei den Islamfragen auf, sind wir wieder nur bei den unergiebigen Antworten, und eine gesamtgesellschaftliche Debatte wäre „islamisiert“ und aus dem gesamtgesellschaftlichen Wir-Bereich herausgedrängt.
Ein Ausweg aus solch einem Kreislauf eröffnet sich wohl erst dann, wenn nicht nur das Kopftuch diskutiert wird, sondern auch das Wormser Krippenspiel oder das Ansinnen auf einen humanistischen Lebenskundeunterricht in der Schule in die Diskussion mit aufgenommen wird.
Die Diskussionen und Debatten werden damit natürlich nicht einfacher. Wir werden jedoch sicherlich befriedigendere Antworten erhalten, wenn wir nicht verkürzend Islam sagen, wo es uns eigentlich grundsätzlich um Religion geht; wenn wir unseren Blick nicht auf die Integration einer spezifischen Gruppe verengen, wo es uns eigentlich um gesamtgesellschaftliche Partizipation geht. Wir brauchen dazu aber auch geeignete Foren, in denen die Fragen des menschlichen Zusammenlebens in all ihrer Komplexität aufgegriffen werden können: die religiösen und weltanschaulichen Aspekte genauso wie die sozialen, die rechtlichen Fragen wie die politischen Hintergründe. Dafür braucht es sicherlich Mut und Geduld, vielleicht sogar Überwindung.