Es war eine angespannte Zeit. Oft genug standen sich Mekka und Medina auf dem Schlachtfeld gegenüber. Zuletzt in der Grabenschlacht vor Medina hatte Mekka wieder angegriffen. Aber jetzt hungerte Mekka. Eine Hungersnot hatte ihre Bewohner in ihrem erbarmungslosen Griff. Am heftigsten spürten dies wiederum die Ärmsten, die Schwächsten. Und es kam Hilfe in der Not, Medina hatte Nahrungsmittel aus dem verbündeten Jemen nach Mekka senden lassen; es war der Prophet (as), der es angeordnet hatte. Die Hilfe kam gerade von dem Menschen, den die Mekkaner am meisten anfeindeten, sie kam von dem für sie verhassten Propheten des Islams. Und der Prophet hatte seine helfende Hand zu einer Zeit ausgestreckt, zu der es jedem anderen wohl unmöglich gewesen wäre zu helfen und am wenigsten den Menschen gegenüber, die ihm oft genug nach dem Leben trachteten. Doch für den Propheten waren sie in dem Moment keine Feinde, sondern Notleidende, von Hunger und Entbehrung gemarterte Menschen.
Der Prophet wusste genau, Feindschaft kann es nicht gegen hungernde Menschen geben. Was Hungernde und Notleidende brauchen ist nur Hilfe. Zweifellos ist der Prophet für uns Beispiel und Vorbild. Jemand der selbst dann Hilfe leistete, wenn andere nicht einmal an das Helfen dachten. Er unterschied sich von anderen dadurch, dass er Notleidende nicht an Kriterien wie Freund-Feind maß. Er bewertete den Notleidenden nach seinem Wesentlichsten, nach seinem Menschsein.
Ob wir den Menschen zu allererst als Menschen betrachten, ist zweifelhaft. Zuletzt ist dies im Folge des Hurrikans in New Orleans und Umgebung an den Tag getreten. Die Ignoranz sowohl der Muslime, als auch der Muslime gegen diese Katastrophe war erschreckend. Grund für diese Ignoranz war sicherlich nicht das Fehlen von dramatischen Fernsehbildern, noch das Fehlen von jeglicher Berichterstattung. Dass sich die Katastrophe in einem Industrieland ereignet hat, impliziert keinesfalls das Fehlen von Opfern. Mag sein, dass weiter entwickelte Länder vielleicht viele Probleme leichter meistern können, aber dass nicht einmal sie solch großen Katastrophen etwas entgegenzusetzen haben, wurde diesmal mehr als deutlich. Insbesondere darf man nicht vergessen, dass die betroffenen Gebiete schon vor der Katastrophe weitgehend vernachlässigt und verarmt waren. Gerade dies lässt aber die Haltung der Weltgemeinschaft noch unverständlicher werden.
Es kann gut sein, dass einem die Politik des betroffenen Landes nicht gefällt, auch ihre Politiker muss man nicht mögen. Aber vor ihrer Staatsangehörigkeit, ihren Ansichten, ihrer Zugehörigkeit muss das Menschsein der Betroffenen wichtig sein. Wenn dieses Kriterium für den Propheten ein ausreichendes war, können wir an die Hilfsbedürftigen dann andere Bedingungen stellen? Können wir uns aufgrund zweit- und drittrangiger Vorbehalte unserer Verantwortung und Verpflichtung zur Hilfe entledigen? Sicherlich nicht. So wie der Prophet seine Verantwortung, für alle eine Barmherzigkeit zu sein, selbst gegenüber seinen Feinden wahrnehmen konnte, können wir nicht vor dieser Verantwortung fliehen, die wir mit ihm teilen.
Es waren aber nicht nur die Muslime, die mit ihrer Hilfe zögerten. Auffallend war auch, dass die meiste Hilfe für die Krisengebiete wieder aus staatlicher Hand kam. Insbesondere suchte man vergeblich nach dem privaten Engagement wie bei der Tsunami-Katastrophe in Asien. Es sind zum Beispiel nicht einmal Spenden in Höhe von einer Million beim Roten Kreuz zusammengekommen, berichtet der DRK-Sprecher Fredrik Barkenhammer und weist auf einen Aspekt der Katastrophe, die viele offensichtlich aus den Augen verloren haben: „Die Not der Mutter in New Orleans, die ihre Kinder verloren hat, ist genauso groß wie die Not der Mutter in Banda Aceh.“ Tränen haben keine Staatsangehörigkeit, kein Geschlecht, keine Ansichten – sie sind überall gleich.