Deutschlands Islamdiskurs: Wie eine falsche Religionspolitik und muslimische Verbände uns die Zukunft verbauen

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Deutschlands Islamdiskurs: Wie eine falsche Religionspolitik und muslimische Verbände uns die Zukunft verbauen

Welche Sprache spricht "der Islam" in Deutschland?

Welche Frage sollte bei der Vermittlung des Islams und im inner-muslimischen Diskurs in Deutschland zum Einsatz kommen? Diese Frage dürfte den meisten Lesern anachronistisch vorkommen. Muslimische Präsenz gibt es in Deutschland zwar schon länger, eine relevante Größe hat sie aber mit der sogenannten "Gastarbeiter"-Anwerbung ab den 1960er Jahren bekommen. Seit über 60 Jahren existieren Muslime in Deutschland, lernen ihre Religion in diesem Land, leben ihre Religion in diesem Land und werden immer häufiger nach islamischem Ritus in diesem Land beigesetzt. In welcher Sprache sollte und könnte die Vermittlung und der Diskurs denn sonst funktionieren?

Im alltäglichen Austausch innerhalb der sehr diversen muslimischen Community ist Deutsch ganz selbstverständlich die dominierende Sprache. Muslime mit Eltern und Großeltern aus der Türkei, Bosnien, Marokko, Tunesien, Syrien und vielen anderen muslimischen Herkunftsländern und natürlich konvertierte "Herkunfts"-Deutsche lernen, kommunizieren und diskutieren auf Deutsch miteinander. Es gibt jedoch ein mutiges gallisches Dorf, das diesem "Zwang" der Lebenswelten der eigenen Zielgruppe Widerstand leistet: unsere muslimische Verbandslandschaft.

Herkunftssprachen und ihre Herausforderungen

Auch nach über 40 Jahren Existenz sind die muslimischen Verbände kaum in der Lage, mit ihren Angehörigen oder mit der allgemeinen Öffentlichkeit auf Deutsch zu kommunizieren. Das trotzige Festhalten der herkunftslandorientierten muslimischen Verbände an den „Herkunftssprachen“ ist jedoch nicht nur eine Form der Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen der eigenen Zielgruppen. Sie ist wohl auch geprägt durch eine gute Portion Angst vor dem Bedeutungsverlust.

Es ist eine Ignoranz vor der immer größeren Diversität der Community, die ein Betreiben von herkunftssprachlichen Gemeinden selbst bei den herkunfts-nationalistischsten Gemeinden unmöglich werden lässt. Ein Verstehen oder eine Vermittlung der Religion stößt bereits seit fast 20 Jahren an Sprachbarrieren, die durch den Verlust der Sprachkompetenz in der Herkunftssprache in der späten 2. der 3. und insbesondere in der 4. Generation der ursprünglichen Zuwanderer entstanden ist. Die Kinder verstehen die Ausführungen in türkischer, bosnischer oder arabischer Sprache nicht mehr ausreichend genug, um über diesen Weg noch Religion lernen zu können.

Eine weitere Ursache für die Weigerung, das Deutsche in der Gemeindearbeit einzusetzen, ist die Angst vor dem Bedeutungsverlust. Es sind nicht nur viele Imame, sondern auch Funktionäre der ersten und zweiten Stunde der Verbandsgeschichte, die auf deutsch schlichtweg nicht mitreden können. Die Weigerung baut auf ein quasi-religiöses Argument auf, das Deutsche sei ja keine „islamische“ Sprache. Aber welche Sprache außer dem Arabischen kann dies denn von sich behaupten? Dass der Islam auf Deutsch in ihren Ohren „fremd“ und „nicht-authentisch“ klingt, sagt viel über ihre Ohren aus, aber nichts über die Möglichkeit, auf Deutsch in der Moschee und der Gemeinschaft zu kommunizieren.

Politik und Verbände: Ein festgefahrener Status Quo

Es sind aber nicht die Verbände allein, die am Erhalt dieses Status quo arbeiten. Auch die deutsche Politik leistet ihren Beitrag dazu, dass der Islam als die Religion muslimischer Deutscher auch in den nächsten Jahrzehnten weiterhin seinen Status als "fremd" aufrecht erhält. Nicht anders kann man die Vereinbarung des Bundesinnenministeriums mit der Diyanet über die Zukunft der Ditib in Deutschland verstehen. Was ursprünglich als "Beendigung der Imam-Entsendung aus der Türkei"1 angekündigt wurde, hat sich mittlerweile als Festschreibung des Status Quo der Türkei-dominierten muslimischen Religionsinfrastruktur auf weitere Jahrzehnte entpuppt2.

Ihre Kommunikationswege in die Gesamtgesellschaft haben die Verbände in den letzten zehn Jahren fast vollständig verloren. Aufgebaute Vertretungsorgane verlieren sowohl in Deutschland als auch in anderen europäischen Ländern völlig an Relevanz.3 Die jeweiligen Verbandsalltage scheinen jeweils voneinander und von nicht-muslimischen Milieus völlig abgekoppelt zu funktionieren.

Das Bestehen auf der türkischen, bosnischen, arabischen oder persischen Sprache im Verbandswirken wird immer mehr zum Machtinstrument der Funktionärs- und Imamgarde, mit dem unliebsame "verdeutschte" junge Menschen aus Leitungsfunktionen ferngehalten werden können. Statt an diesem auch institutionell kaum tragbaren Defizit zu arbeiten, wird die eigene Gemeinde/Gemeinschaft zur herkunftsweltlichen Enklave erklärt, in der man in der Blase zumindest noch Meinungsführerschaft beanspruchen kann.

Partizipation statt Wagenburg

Den Preis für die Unfähigkeit ihrer Funktionäre und Imame, auch nach Jahrzehnten die Landessprache nicht zu beherrschen, das Land und die Menschen nicht zu verstehen und auch immer mehr den Bezug zur eigenen Zielgruppe zu verlieren, den zahlt die muslimische Community aber auch die Gesamtgesellschaft.

Dabei geht es den Funktionären, aber leider auch der über die Köpfe der hiesigen Muslime hinweg agierenden deutschen Politik schon lange nicht um Theologie, es geht nicht um Kultur oder deren Bewahrung. Es ist eiskalte Interessen- und Geltungspolitik, die auf unseren Schultern und noch schlimmer, auf den Schultern unserer Kinder und des Muslim-seins in Deutschland und Europa ausgetragen wird.

Aktuell verbauen wir uns damit in vielen Zusammenhängen die institutionelle Zukunft des Islams in Deutschland und gefährden damit auch die Möglichkeiten der individuellen Religiosität. Das Paradoxe an der Geschichte ist, dass ein unglaublich hoher Aufwand betrieben werden muss, um finanzielle und personelle Ressourcen aufzubringen, damit der Status Quo einer "fremdartigen" muslimischen Institutionalisierung in Deutschland künstlich aufrecht erhalten wird. Zukunftsfähige Konzepte zu erarbeiten, ganz zu schweigen davon, diese in die Tat umzusetzen, kann man von solch einer Struktur nicht erwarten.



  1. Beendigung der Imam-Entsendung aus der Türkei, Meldung des BMI vom 14.12.2023, abgerufen am 25.06.2024 (archivierter Alternativlink).

  2. "Bereits im Dezember letzten Jahres konnten wir große Fortschritte verzeichnen und nun mit einer Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium des Inneren und der Diyanet finalisieren. [...] Und deswegen, da wir diese Ressourcen hier in Deutschland nicht haben, müssen wir den Bedarf abdecken, indem wir Absolventen der islamischen Theologie aus der Türkei nach Deutschland holen.", aus dem Bericht von der Pressekonferenz der DITIB vom 17.05.2024, abgerufen am 25.06.2024 (archivierter Alternativlink).

  3. Der Versuch, das zentrale gemeinsame Vertretungsorgan, den Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) zu erweitern, ist bereits 2019 gescheitert. Mittlerweile ist das Gründungsmitglied VIKZ aus dem Verbund ausgestiegen. In Belgien und Frankreich sehen wir ähnliche Auflösungstendenzen.

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