Mit viel Eifer und Interesse wird das Thema Imam-Ausbildung seit einigen Monaten in Deutschland diskutiert. Die Frage nach der Notwendigkeit wird in diesen Debatten zu Recht nicht mehr gestellt. Nach neuesten Angaben leben über 4,5 Millionen Muslime in Deutschland, viele werden in über 2000 Moscheegemeinden unterschiedlicher Größe betreut. Schon die Versorgung dieser Gemeinden ist heute mit einem recht großen organisatorischen Aufwand verbunden, bei dem es darum geht, mitunter zahlreiche Unbekannte zu meistern.
Nicht immer kommt ein Imam aus der Türkei mit den Herausforderungen in Deutschland zurecht, nicht immer kommt eine Gemeinde mit ihrem Imam aus. Aber auch ein erfolgreicher Imam oder eine gute Imam-Gemeinde-Beziehung muss nicht 20 Jahre halten. Insofern gibt es mancherorts eine hohe Fluktuationsrate bei der Besetzung des Amtes des Imames in einer Moscheegemeinde.
Zu den Aufgaben einer Religionsgemeinschaft in Deutschland gehört es auch, für ihre Gemeinden ein ausreichendes Angebot an Imamen zur Verfügung zu stellen, aber auch Imamen eine Zukunftsperspektive in den Gemeinden zu geben. Hinzu kommt, dass mit mancherorts wachsenden Gemeindegrößen auch die Anforderungen an die Imame steigen und manche Gemeinden nicht mehr nur durch einen Imam ausreichend betreut werden können.
Für die Religionsgemeinschaften bedeutet dies, dass sie stetig für ein ausreichendes Angebot an Imamen sorgen müssen – ob nun durch „Import“ oder Ausbildung – ist dabei erst einmal nachrangig.
Bei einer guten, qualifizierenden Ausbildung und der passenden Persönlichkeit des Imams ist die Frage nach dem Ausbildungsort eher zweitranging. Als wichtig erscheint grundsätzlich die Empathiefähigkeit des Imams und seine auch mentale Verortung im hier und jetzt. Wichtig ist aber auch, dass der Imam seine Gemeinde mit all ihren Facetten wahrnimmt und auch in der Lage ist, all diese unterschiedlichen Lebenswelten seiner Gemeinde in seine Arbeit einzubeziehen. Dazu gehört es dann zum Beispiel gerade auch, ein Bewusstsein nicht nur für die Bedürfnisse eines Lebens hier in Deutschland zu entwickeln, sondern auch für die Herkunftskultur, in die sich diese Menschen mitverorten. Genauso wichtig wie die Kenntnis der deutschen Sprache wird in einer Gemeinde mit vornehmlich türkisch-stämmigen Gläubigen die Kenntnis der türkischen Sprache, bei einer eher bosnischen Gemeinde die Kenntnis des bosnischen oder in einer eher von Maghribinern frequentierten Moschee die Kenntnis des arabischen, französischen und der Berbersprache sein.
Dass die Frage der Imamausbildung so häufig diskutiert wird, in den Religionsgemeinschaften noch häufiger als auf solchen Tagungen, zeigt jedoch, dass es in diesem Punkt gewisse Probleme gibt. Nicht immer wird in den Ausbildungsstätten im Ausland den Imamen ein ausreichendes Rüstzeug mit auf den Weg gegeben, um sie auf die Herausforderungen hier in Deutschland vorzubereiten. Dies ist nicht verwunderlich, da bei diesen Ausbildungen der Fokus nicht auf Deutschland oder Europa gerichtet ist, sondern vielmehr auf die Bedürfnisse im eigenen Land. Aber auch hier gibt es mittlerweile neuere positive Entwicklungen, wie zum Beispiel in der Türkei.
Insoweit hätte eine Imam-Ausbildung in Deutschland gerade für die Religionsgemeinschaften hier den Vorteil, wenn denn solch eine Ausbildung die verfassungsmäßig gebotene und gerade bei der Imamausbildung auch im Hinblick auf die spätere berufliche Perspektive zwingend notwendige Einbeziehung der Religionsgemeinschaften berücksichtigt, dass sie Einfluss auf die Ausbildung nehmen und diesen bedarfsgerecht ausgestalten könnten. Außerdem könnte eine Imamausbildung im Land gerade auch junge Menschen in Deutschland zum Durchlaufen einer solchen Ausbildung animieren. Der Vorteil wäre, dass diese Imame bereits die Umstände und Probleme in Deutschland kennen könnten und sich nicht erst mühsam aneignen müssten.
Außer Blick darf dabei aber nicht geraten, dass für den Aufbau eines engen Vertrauensverhältnisses, wie es von den Gemeinden oftmals erwartet wird, auch einen gemeinsamer Hintergrund notwendig ist. Viele elementare Umgangsformen, kulturelle Eigenheiten und auch der Aufbau einer engen persönlichen Beziehung zwischen Imam und Gemeinde hängt gerade nicht von der thelogischen Bildung des Imams, sondern auch von der gemeinsamen kulturellen Basis, auf die die Kommunikation und der Umgang aufgebaut wird.
Notwendigkeit der Imamausbildung
Wegen veränderter Voraussetzungen, denen wir gerade als Muslime gegenüberstehen, ist die Frage nach einer Ausbildung von Imamen in Deutschland oder weiter gedacht, in Europa, eine Notwendigkeit und keine Option mehr.
Es herrscht nunmal hier in Deutschland ein anderes gesellschaftliches Umfeld als in einem mehrheitlich muslimischen Land. Es ist aber nicht nur das Land, das Muslime vor neue Herausforderungen stellt, nein, es ist auch die Zeit, mit den Folgen der Globalisierung, einer starken Migrationsbewegung und gestiegenen Kommunikationmöglichkeiten, mit denen man sich die „Heimat“ selbst in der Ferne wesentlich besser zu erhalten scheint. Es ist aber auch die immer stärker voranschreitende Individualisierung, die bisher wenig hinterfragte Institutionen den Nimbus der Unantastbarkeit nimmt.
Deswegen reicht es auch oftmals nicht aus, bei der Diskussion um Imamausbildung und Imambefähigung in Deutschland den Fokus immer nur auf die Sprache zu legen. Wir haben es hier nicht nur mit einer anderen Sprache, sondern auch mit veränderten Mentalitäten, divergenten Sozialräumen und auch einer veränderten Religiösität zu tun.
Die Fragen an die Religion sind in der Minderheitssituation andere, als in der Mehrheitssituation. Auch haben wir in unseren Herkunftsländeren oftmals mit einem religiösen Verständnis zu tun gehabt, das sich wie selbstverständlich an staatlichen Institutionen orientiert und sich gar aus diesen legitimiert hat. Ein Umstand, der zum einen nicht kompatibel zu einem säkularen Staatsverständnis ist, der aber auch aus theologischer Sicht diskutiert werden muss.
Zudem müssen sich Gläubige in Deutschland, unabhängig von der Religionszugehörigkeit, mit einer immer stärker fortschreitenden Areligiösität auseinander setzen. Immer mehr Menschen können mit Religion, mit Transzendenz, mit dem Glauben an eine nicht körperlich fassbare Macht, an eine überirdische Instanz nichts anfangen. Diese Distanz begründet dabei nicht nur ein Ignorieren von Religiösem, sondern oftmals auch eine Ablehnung und Unverständnis gegenüber religiösen Einstellungen und Gefühlen.
Dies stellt den Imam vor die besondere Aufgabe, zum einen selbst mit diesen veränderten Umständen umzugehen, aber auch der Gemeinde bei der Auseinandersetzung mit diesen unterstützen.
Problemfelder
Es ist jedoch ein Irrglauben, wenn wir nun in der Ausbildung von Imamen in Deutschland das Allheilmittel für jegliche derzeit im Rahmen der Migration und Alltagsbewältigung auftauchenden Probleme suchen. In dem Sinne erachte ich es als eine Fehlentwicklung, wenn nun Imame für alle möglichen Aufgabenfelder wie Integrationslotsen oder Sicherheitsbeauftragte in die Diskussion gebracht werden, ohne die Bedürfnisse der Gemeinden zu berücksichtigen. Vielmehr müssen wir uns bewusst machen, dass gerade eine überzogene Erwartungshaltung solch eine Ausbildung schon vor ihrem Start zum Untergang verurteilen kann.
Eine Imamausbildung, die in erster Linie die Integration fördern soll, einen „europäischen Islam“ aufbauen soll, Ansprechpartner für alle möglichen gesellschaftlichen Akteure schaffen soll, dem Sicherheitsbedürfnis mancher Sicherheitspolitiker entsprechen soll, lässt zwei wichtige Voraussetzungen außer Acht, die noch vor allen anderen kommen müssen: Das Vertrauen und die Bedürfnisse der Muslime in den Moscheegemeinden.
Wir dürfen nicht vergessen, die Ausbildungspläne können noch so ambitioniert sein, solange diese Menschen nicht von den Gemeinden als Imame eingestellt werden, laufen wir Gefahr, neue arbeitslose Akademiker zu produzieren. Die Einstellung in den Gemeinden wird jedoch weniger von der staatlichen Zertifizierung, sondern vielmehr davon abhängig sein, ob die Gemeinden Vertrauen in die Ausbildung der Imame legen können und davon, ob diese Imame in der Lage sein werden, auf die Bedürfnisse der Gemeinden einzugehen.
Die Frage des Vertrauens an die thelogische Kompetenz wird nicht zuletzt davon abhängen, wie sich die etablierten Religionsgemeinschaften zu dieser Ausbildung positionieren, und wie die Akzeptanz der Lehrpersonen in der muslimischen Basis niederschlägt. Die Position der Religionsgemeinschaften wird wiederum davon abhängen, inwieweit sie in diese Ausbildung eingebunden und ernsthaft als Partner wahrgenommen werden, und zwar im Allgemeinen, nicht nu speziell bei dieser Frage.
Zum anderen wird sich die Frage stellen, inwieweit die theologische Ausbildung in der praktischen Gemeindearbeit umgesetzt werden kann. Denn dafür wird die einfache Kenntnis der theologischen Grundlagen noch nicht ausreichend sein. Sicherlich werden auch Praktika in Gemeinden oder gar ein Referendarstatus nach Abschluss des Studiums notwendig sein, auch dafür ist eine frühzeitige, intensive Kooperation mit den muslimsichen Religionsgemeinschaften notwendig. Auch muss über die Möglichkeit nachgedacht werden, einen Teil der theologischen Ausbildung gerade in den Herkunftsländern zu absolvieren. Dies würde den angehenden Imamen sowohl die Möglichkeit geben, an eine in Jahrhunderten gewachsene, und schon damit bei den Gemeinden für Vertrauen sorgende Tradition anzuknüpfen und ihnen auch schon in der Ausbildung die Möglichkeit geben, zu abstrahieren und sich mit unterschiedlichen Lebensvoraussetzungen und ihren Auswirkungen auseinanderzusetzen.
Schließlich wird auch eine Neubestimmung oder Neukonkretisierung des Anforderungsprofils an Imame erfolgen müssen. Zum einen fehlt es der Institution „Imam“ an einer grundsätzlichen Verortung in der islamischen Theologie. Noch immer wird diese Aufgabe auf der theoretischen Ebene nicht als Profession oder Beruf angesehen, während sie in der Praxis schon seit Jahrhunderten als solche verstanden wird. Bei nicht-muslimischern Partnern sind die Erwartungen an einen Imam oftmals geprägt von einem christlichen Verständnis von religiöser Autorität und somit oftmals überzogen.
Zudem gibt es aber auch sehr divergierende Ansichten davon, welche Aufgaben ein Imam erfüllen muss und welche Verantwortung er in der Gemeinde trägt. Dies ist sowohl im Vergleich Deutschland-Türkei auffällig, diese Diskrepanzen gibt es aber auch unter den Religionsgemeinschaften in Deutschland. Und schließlich hat gerade die Migrationserfahrung in Deutschland zu einer massiven Ausweitung der Aufgabenbereiche des Imams geführt. So obliegt ihm regelmäßig unter anderem neben der Leitung der Gottesdienste und Gebete auch die moralische Anleitung der Gläubigen, die Vorbildfunktion, die Leitung der Bildungsarbeit, seelsorgerische und beratende Tätigkeiten.
Auch wenn eine weitergehende Differenzierung und Aufspaltung dieser Aufgaben auf andere Spezialisten (wie zB Pädagogen und Sozialpädagogen) zu erwarten ist, werden auch in Zukunft viele Aufgaben beim Imam der Gemeinde verbleiben, die ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen ihm und der Gemeinde notwendig machen.
Insofern können wir feststellen, dass eine Imamausbildung in Deutschland zweifellos von vielen Faktoren abhängig sein wird. Die alles entscheidende Voraussetzung wird jedoch die Akzeptanz dieser Ausbildung in den Gemeinden und das Vertrauen der Muslime in diese Imame sein. An dieser Frage wird sich jedes Konzept und jedes Angebot messen müssen.
(Als Vortrag gehalten auf der Tagung „Ausbildung von Imamen“ der Eugen-Biser-Stiftung am 24.11.2010 in der Evangelischen Akademie Tutzing)